Die Weichen stellen für ein nachhaltiges Finanzsystem – jetzt!
Wir befinden uns inmitten eines komplexen Strukturwandels, der alle Dimensionen unserer Gesellschaft, des Wirtschaftssystems und der Politik betrifft. Die Bekämpfung der Klimakrise und die konsequente Realisierung der Nachhaltigkeitsziele der Vereinten Nationen sind Jahrhundertaufgaben und sie dulden keinen Aufschub. Nicht zuletzt zeigt uns gerade die COVID-19-Pandemie die Bedeutung resilienter Wirtschafts- und Gesellschaftsstrukturen auf.
Um diesen Wandel erfolgreich zu gestalten, müssen wir unsere wirtschaftliche Wertschöpfung nachhaltig ausrichten. Nur eine Ökonomie, die die natürlichen Grenzen unseres Planeten achtet, sowie einheitliche und hohe Sozialstandards garantiert, ist langfristig überlebensfähig.
Welche Rolle spielt dabei die Finanzwirtschaft? Ein nachhaltiges Finanzsystem ist einer der zentralen Hebel, um die Transformation unserer Wirtschaft gezielt und mit der notwendigen Geschwindigkeit zukunftsfähig zu gestalten. Denn die Neuausrichtung und Anpassung vieler Branchen wird teuer – ob es darum geht, das 1,5°-Ziel von Paris zu erreichen oder die internationale Nachhaltigkeitsagenda umzusetzen – der Investitionsbedarf ist enorm. Und genau hier liegen Verantwortung und Gestaltungsbereich der Finanzwirtschaft. Ihr Handlungsspielraum ist dabei eng verzahnt mit den entsprechenden politischen Rahmenbedingungen. Aufgabe der Politik ist es, klare Spielregeln zu etablieren und dafür zu sorgen, dass das unternehmerische Innovationspotential voll ausgeschöpft werden kann. Denn nur so können Klimaschutz und Nachhaltigkeit zielführend vorangetrieben werden. Das ist essenziell, um die Wettbewerbsfähigkeit unserer Wirtschaft zu sichern!
Für folgende Punkte möchte ich mich einsetzen:
Wahre Preise
Global werden jährlich mehr als 1 Billion Euro Kapital benötigt, um die Transformation zu einer Wirtschaft, die im Einklang mit dem Pariser Klimaabkommen steht, zu stemmen. Allein zur Erreichung der EU Klima- und Energieziele bis 2030 sind jedes Jahr Investitionen i. H. v. 180 Mrd. Euro notwendig. Einen großen Teil des benötigten Kapitals werden private Quellen bereitstellen müssen, denn Steuergeld kann und sollte diese Last nicht alleine tragen. Wir brauchen einen CO2-Preis, der unternehmerische Entscheidungen maßgeblich lenkt und ein System der Internalisierung externer Kosten wie Klimawandel, Umweltzerstörung und die Missachtung von Menschenrechten. Ziel muss es sein, die wahren Preise unseres Wirtschaftens abzubilden.
Transparenz
Um den Weg, der vor uns liegt, zu verstehen, angemessene (Etappen-)Ziele zu setzen und deren Erreichung im wahrsten Sinne des Wortes berechenbar zu machen, ist eine ganzheitliche Beschreibung des Ist-Zustands notwendig. Wo steht die deutsche Finanzwirtschaft in Sachen Nachhaltigkeit? Wo liegen die unmittelbaren, mittel- und langfristigen Risiken und Chancen? Wo besteht konkreter Handlungsbedarf und wie schlägt sich dieser sichtbar in den Geschäftsfeldern und Wertschöpfungsketten nieder? Um diese Fragen zu beantworten, brauchen wir aussagekräftige Daten. Der Schlüssel hierzu sind sogenannte ESG (Environmental, Social, Governance)-Daten, die im Rahmen der Berichterstattung von Unternehmen offengelegt werden – sowohl auf der Seite der Real- als auch der Finanzwirtschaft.
Innovation
Die Innovationskraft unseres Wirtschaftssystems ist entscheidend, um die vor uns liegende Transformation erfolgreich zu gestalten. Neben der frühzeitigen Erkennung und Minimierung von Risiken geht es um die Identifikation von Chancen. Die Entwicklung neuer und nachhaltiger Geschäftsmodelle ist hier ebenso von Bedeutung, wie die innovative Weiterentwicklung von bestehenden Wertschöpfungsketten, um deren Zukunftsfähigkeit zu sichern. Um die Innovationskraft der deutschen Wirtschaft voll zu entfalten, brauchen wir eine politische Rahmensetzung, die ein mutiges und vorwärts gerichtetes Unternehmertum anstößt und fördert. Für ein ideen- und wettbewerbsfreundliches wirtschaftliches Klima sind attraktive politische Förderprogramm, die den Markt anreizen, zentral.
Dialog
Der Strukturwandel ist umfassend und betrifft uns alle. Die gesetzten Ziele und die Wege, um sie zu erreichen, können nur erfolgreich sein, wenn sie demokratisch legitimiert sind. Dazu brauchen wir einen offenen und gleichberechtigten Dialog aller Anspruchsgruppen. Wir müssen Fragen rund um die Definition von Wert, Wachstum und Wohlstand vor dem Hintergrund der Klimakrise und sozialer Verteilung neu stellen, bewerten und gemeinschaftlich beantworten. Zielkonflikte müssen sichtbar gemacht und verhandelt werden. Die Verästelungen unseres Finanz- und Wirtschaftssystems durchziehen einen großen Teil unserer Lebenswelt, das macht uns verantwortlich und berechtigt uns zugleich zur selbstbestimmten Teilhabe. Es ist eine wesentliche Aufgabe der Politik diesen breiten gesellschaftlichen Diskurs zu initiieren und eng zu begleiten.
Wissenschaftliche Fundierung und Wirkungsanalyse
Die unabhängige wissenschaftliche Begleitung ist ein wesentlicher Erfolgsfaktor jedes Strukturwandels. Wie wird sich unsere Welt aufgrund der globalen Erwärmung in den nächsten Jahren verändern? Welche Szenarien sollten wir zugrunde legen, wenn wir die Weichen stellen für unser zukünftiges Zusammenleben und Wirtschaften? Welchen Herausforderungen werden wir uns stellen müssen und welche Chancen gilt es zu ergreifen? Die Antworten auf diese Fragen sind von äußerster Wichtigkeit und bedürfen einer wissenschaftlichen Fundierung. Ebenso ist es notwendig, den Transformationsprozess selbst wissenschaftlich zu begleiten. Nur so können wir überprüfen, ob die ins Auge gefassten Ziele und der gewählte Weg im erwarteten Maße auf die Politikziele einzahlen oder ob Anpassungen notwendig sind.
Die Bedeutung eines nachhaltigen Finanzsystems für…
Hessen
Der Finanzplatz Frankfurt ist einer der zentralen Finanzknotenpunkte in Europa und der Welt. Mit dem Auf- und Ausbau nachhaltiger Finanzstrukturen sind große Chancen für den Finanzplatz verbunden. Weltweit wetteifern große Finanzzentren um die Vorreiterschaft in Sachen Sustainable Finance. Sich diese Marktposition zu sichern und damit die nachhaltige Transformation entscheidend voranzutreiben, ist eine zentrale Entwicklungsperspektive für Hessen.
Dabei geht es auch um die Transformation direkt vor unserer Haustür. Ob im Bereich des sozialen und ökologischen Wohnungsbaus, der energetischen Sanierung von Gebäuden oder dem Infrastrukturausbau im ländlichen Raum, nachhaltige Finanzierungsstrategien sind gefragt. Auch die in Hessen ansässige Industrie muss dabei unterstützt werden, den Strukturwandel erfolgreich zu absolvieren. In der Landwirtschaft gilt es den Übergang von der konventionellen Produktion zu mehr ökologischer Nachhaltigkeit zu gestalten. Als eines der waldreichsten Bundesländer steht Hessen vor der Herausforderung, klimaresiliente Bestandsstrukturen zu schaffen. Das alles das geht Hand in Hand mit einem zukunftsfördernden Finanzsystem.
Die Finanzströme, die von dem hessischen Finanzzentrum aus gelenkt werden, entfalten eine Wirkung - regional, national und global. Ob sie unsere Welt zum Positiven oder Negativen verändern, ist unsere Entscheidung! Im vergangenen Jahrhundert wurden einige Male die Schattenseiten eines globalen Finanzkapitalismus und deren massiven Auswirkungen auf die Stabilität unserer wirtschaftlichen Wertschöpfung und unseren gesellschaftlichen Zusammenhalt sichtbar. Das darf aber nicht zu einer Verteufelung des Finanzsystems führen. Dafür gibt es zwei wesentliche Gründe:
- Es ist ein System, ein Werkzeug. Es ist weder vom Himmel gefallen, noch ist es unantastbar - es wird von uns Menschen entwickelt, aufrechterhalten und ist entsprechend veränderbar - verbesserbar. Das Finanzsystem ist kein Selbstzweck, sondern hat einen dienenden Charakter. Es ist an uns zu bestimmen, wem oder was es dient.
- Wir brauchen das Finanzsystem, wenn wir den notwendigen Strukturwandel in Gesellschaft und Wirtschaft in der gebotenen Zeit bewältigen wollen. Die vorhandene Finanzinfrastruktur eröffnet die Möglichkeit gezielter Kapitalallokationen und Finanzierungstrategien. Es ist die Verantwortung der Politik, einen verlässlichen und fairen Rahmen zu setzen und es ist die Aufgabe des Marktes, diesen Rahmen langfristig wertschöpfend auszufüllen.
Unser Ziel muss die nachhaltige Lenkung von Kapital entlang zukunftsfähiger wirtschaftlicher Strukturen sein. Wir müssen den künstlichen Gegensatz zwischen dem sozial und ökologisch Gebotenen und dem vermeintlich wirtschaftlichen Gewinnversprechenden aufheben – er ist ein Relikt aus einer vergangenen Zeit.
Deutschland
In Deutschland hat eine ernstzunehmende Beschäftigung mit dem Thema Sustainable Finance lange auf sich warten lassen. Sowohl marktseitig als auch auf politischer Ebene wurden Fragen der Nachhaltigkeitswirkung unseres Finanzsystems zu lange als Orchideenthema abgetan. Diese Verzögerung im Auf- und Ausbau innovativer und zukunftsfördernder Finanzmarktstrukturen schlägt sich bereits heute negativ auf das Erreichen der Nachhaltigkeitsziele und damit auf die Attraktivität des Wirtschaftsstandortes Deutschland nieder.
In den letzten Jahren haben die Entwicklungen rund um Sustainable Finance glücklicherweise an Fahrt aufgenommen. Ein wichtiger Schritt war die Einsetzung des Sustainable Finance Beirats der Bundesregierung. Der Beirat hat im Juni 2019 seine Arbeit aufgenommen und ist mit dem Mandat ausgestattet, Empfehlungen zu erarbeiten, um Deutschland zu einem führenden Sustainable Finance-Standort zu entwickeln. Der Zwischenbericht des Beirats wurde im März 2019 veröffentlicht und die finalen Empfehlungen werden im ersten Quartal 2021 erwartet.
Aufgabe der Politik ist es nun, diese Empfehlungen in den nächsten Jahren konsequent und ambitioniert in klare regulatorische Rahmenbedingungen zu übersetzen. Ein zukunftsfähiges Finanzsystem zügig aufzubauen ist eine Grundvoraussetzung, um die Transformation unserer Wirtschaft voranzutreiben, sie widerstands- und anpassungsfähig und damit fit für den Wettbewerb zu machen. Und das ist für Deutschland auf vielen Ebenen von großer Relevanz.
- Eine progressive und innovative Sustainable Finance-Strategie ist Voraussetzung dafür, dass die Bundesrepublik ihrer Verantwortung im Aufbau eines nachhaltigen Wirtschaftssystems gerecht werden kann.
- Im Konzert mit unseren europäischen Partner*innen müssen wir eine klare und verlässliche Stimme entwickeln und eine gestaltende Rolle übernehmen.
- Auch auf globaler Ebene muss diese Stimme hörbar und unsere Rolle als verantwortungsvolle Gestalterin sichtbar werden. Bereits viele Staaten haben Deutschland hinsichtlich ihrer Nachhaltigkeitsambitionen überholt. Das führt nicht nur zu einem Nachteil im wirtschaftlichen Wettbewerb; ebenso dramatisch ist, dass wir unsere internationalen Partner*innen allein lassen und die geschmiedeten Allianzen durch unsere zögerliche Haltung schwächen.
Als stellvertretende Vorsitzende des Sustainable Finance Beirats der Bundesregierung habe ich die Arbeit des Gremiums seit 2019 eng begleitet. Dabei leitet mich das Prinzip, dass jede Stimme gleichberechtigt gehört werden muss. Um Ziel- und Interessenkonflikte zu lösen, müssen sie zunächst für jede*n sichtbar auf dem Tisch liegen – dann kann verhandelt werden.
Ich möchte einen Beitrag dazu leisten, die Empfehlungen zur politischen und wirtschaftlichen Realität werden zu lassen – für einen zukunftsfähigen deutschen Wirtschaftsstandort, für eine mutige Finanz- und Wirtschaftspolitik, die unsere europäischen und internationalen Partner*innen unterstützen und inspirieren!
Europa
Die EU ist Vorreiterin im Bereich Sustainable Finance. Vor allem die Europäische Kommission sieht das Thema als Grundbaustein ihres Green Deals und treibt die Agenda seit Jahren voran. Bereits 2016 wurde eine High-Level Expert Group (HLEG) einberufen. Das Expertengremium legte 2018 Empfehlungen für ein Anreizsystem vor, das auf die Lenkung von Kapitalströmen in nachhaltige Wirtschaftsaktivitäten abzielt. Basierend auf diesen Empfehlungen beschloss die EU-Kommission den Action Plan on financing sustainable growth, ein Regulierungspaket, das zentrale Stellschrauben eines nachhaltigen Finanzsystems adressiert. Dazu gehören Transparenz und Offenlegung, Risikomanagement oder einheitliche Klassifizierungssysteme zur Bewertung der Nachhaltigkeitsleistung von Unternehmen und Finanzprodukten. Die Umsetzung des Action Plans ist weitgehend abgeschlossen und die nächsten Schritte stehen an.
Aufgrund der verspäteten Entwicklung in Deutschland wurden viele Chancen nicht ergriffen, um den bisherigen Weg der EU-Kommission proaktiv mitzugestalten und zu stützen. Nicht selten hat Deutschland in der Vergangenheit diesen Prozess sogar gebremst und erschwert. Das muss sich dringend ändern, denn die kommenden Jahre sind entscheidend. Von verschärften EU-Klimazielen, über die standardisierte Definition von ökologischer und sozialer Nachhaltigkeit in Real- und Finanzwirtschaft, bis hin zur Offenlegungspflichten für Unternehmen – in Brüssel wird der Weg Deutschlands und Hessens geebnet. Hier werden die Weichen gestellt, wie wir in Zukunft wirtschaften, arbeiten, und leben.
Dieses zögerliche Vorgehen Deutschlands, wenn es darum geht einen gemeinsamen, starken europäischen Weg zu einem nachhaltigen Finanzsystem zu entwickeln, sorgt bei unseren europäischen Kolleg*innen zunehmend für Ratlosigkeit und Irritation. Genau hier möchte ich ansetzen und einen Beitrag zu einer vorwärtsgewandten deutschen Finanz- und Wirtschaftspolitik leisten. Ich möchte mich einsetzen für einen ambitionierten Austausch auf Augenhöhe, für starke Partnerschaften mit gemeinsamen Zielen. Ich werde dabei unterstützen, das europäische Fragezeichen, das aktuell hinter einer Verantwortungsübernahme und Verlässlichkeit seitens Deutschlands steht, in ein Ausrufezeichen zu verwandeln!
unsere Welt
Die Klimakrise ist eine globale Herausforderung, der wir nur gemeinsam erfolgreich entgegentreten können. Verantwortung und Wirksamkeit in der individuellen Lebenswelt, Klimapläne auf kommunaler und Landesebene, eine ambitionierte nationale Klimapolitik, ein starker europäischer Ansatz – das sind alles tragende Säulen für die Erreichung gemeinsamer Ziele der internationalen Staatengemeinschaft. Diese Ziele dürfen nicht verhandelbar sein – weder ihre Inhalte noch der verabredete Umsetzungszeitraum.
Im Jahr 2015 wurde das Klimaabkommen von Paris und die Nachhaltigen Entwicklungsziele (Sustainable Development Goals) der Vereinten Nationen beschlossen. Sie sind so viel mehr als der Fahrplan in eine nachhaltigere Welt – sie sind unsere Überlebensstrategie! Alle politischen, gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Entscheidungen müssen sich daran messen lassen, ob sie auf die Erreichung dieser übergeordneten Ziele einzahlen.
Um diese Überlebensstrategie zu realisieren, bedarf es eines komplexen Finanzierungsplans. Dieser muss die wesentlichen Stellschrauben des internationalen Finanzsystems adressieren, um Kapitalströme zukunftsfördernd zu lenken. Wir brauchen starke internationale Allianzen, die fachliche Expertise und regulatorische Weitsicht miteinander verbinden. Hier ist beispielsweise das Network for Greening the Financial System, ein weltweites Netzwerk von Zentralbanken und Aufsichtsbehörden, zu nennen. Hier haben die Bundesbank und die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht als Gründungsmitglieder eine zentrale und verantwortungsvolle Rolle übernommen. Eine ambitionierte Finanzpolitik muss sich eben solche Netzwerke und die hier vorhandene Expertise zunutze machen. Es gilt Brücken zu bauen und basierend auf einem offenen Austausch verbindliche Entwicklungspfade zu definieren. Das alte Silodenken, sei es entlang nationalstaatlicher Grenzen oder veralteter Rollenverständnisse von Wirtschaft und Politik, muss überwunden werden. Nur so können wir der vor uns liegenden Transformation mit ihren komplexen Strukturen gerecht zu werden.